Brevet-Woche in Bulgarien

Hans-Hermann Wulff

- oder auch das Umfahren von tiefen Kratern auf der Straße

In diesem Jahr findet ja wieder P-B-P statt. Nachdem ich in Norddeutschland schon zwei 200er und drei 300er gefahren war, wollten wir die Qualifikationsserie kompakt in sieben Tagen bestreiten. Wir, das waren Nina Burand aus Husum, Michael Nagel von Endspurt HH, Kalle von den Nortorfern und ich ,Hans-Hermann vom Audax S-H.Bulgarien - hhWulff

Weiterhin Klaus Prüger aus Tostedt, ein Radkollege aus Regensburg und je nach Streckenlänge wechselnd einige Bulgaren.

Alles sehr gut organisiert von Lazar aus Sliven.

Mit dem Flugzeug ging es von Hamburg über Budapest nach Sofia. Da wurden wir vom Veranstalter abgeholt und mit dem Auto ging es fast 400 km an den Sonnenstrand. Spät am Abend trafen wir dort ein. Dann schnell einen Imbiss einnehmen und die Räder startklar machen. Etwas schlafen, denn sieben Stunden später startete schon der 300er. 

Die Serie war folgendermaßen aufgeteilt: Samstag 300er, Sonntag 200er, Dienstag 400er und Freitag und Samstag den 600er.

Leider war mein Rad im Flugzeug wohl etwas unsanft behandelt worden. Die Schaltung knirschte und ächzte. Kleine Gänge waren nicht zu fahren. Spät beim 300er hatte ich es dann einigermaßen justiert und beim 200er konnte ich dann von „Schalten“ reden. Bei fast 16000 HM während der gesamten Serie war ohne vernünftige Schaltung kein Durchkommen möglich.

Bei leichtem Regen startete der 300er, 330 km genau mit 3300 HM, und so richtig trocken wurde es erst nach 150 km. Auf den ersten Kilometern schon konnten wir uns mit den teilweise fast nicht zu befahrenden Straßen vertraut machen. Schlagloch an Schlagloch musste umkurvt werden, Mensch und Material litten. Bulgarien - hhWulffKontrollstelle war immer ein Begleitfahrzeug, in dem auch Wasser, Bananen und Kleinigkeiten mitgeführt wurden. Da wir immer erst gegen 8:30 h starteten, mussten wir uns frühzeitig für die Fahrt in der Dunkelheit vorbereiten. Hinzu kam, dass nach dem Sonnenuntergang es sofort empfindlich kalt wurde. Um 21:00 h errreichten wir nach einer Netto Fahrzeit von 11:15:00 h und 330 km unser Hotel. Essen gab es nicht mehr, also mussten ein paar Brote und Kekse reichen.

Das Rad wurde wieder vorbereitet und am nächsten Morgen gab es ein reichhaltiges Frühstück. Das war auch dringend notwendig. Der 200er, der ein 223er war, war wohl der härteste den ich jemals gefahren bin. Das zeigen schon die Netto Fahrzeit von 09:24:00 h und die gefahrenen 3300 Höhenmeter.

Es regnete und die Straßen waren in einem unvorstellbaren Zustand.

Zum Schluß gab es dann noch einen Anstieg von 12 km Länge, der nicht enden wollte. Endlich oben angekommen ging es in rasender Fahrt wieder ans Schwarze Meer. Die Abfahrt war wieder bitterkalt. Wir waren am Anschlag. Jetzt gab es aber Abendessen vom Buffet. Wir schlangen Unmengen in uns rein.Bulgarien - hhWulff

Am nächsten Morgen nochmal ein Frühstück. Es war nötig und ein freier Tag sorgte für etwas Erholung..

Der 400 er am Dienstag sollte ein Höhepunkt der Woche werden. 8:30 h gestartet und um 3:45 h im Ziel. Die Straßen waren eine Mischung aus sehr gut zu fahren, Belag, der das Hinterteil ruinierte und wieder Schlagloch an Schlagloch. In den Bergen erlebten wir ein Gewitter vom Feinsten. Lazar hatte aber für die Fahrt in der Dunkelheit Straßen ausgesucht, die mit etwas Vorsicht gut zu fahren waren. Nach 250 km erreichten wir die Kontrollstelle in Madara. Auf den letzten Metern eine Steigung von 18 %. Die Bewirtung war sehr gut. Ich war mit Kalle unterwegs und wir bestellten Hähnchenfilet von unvorstellbaren Ausmaßen, es passte kaum auf unsere großen Teller. Es war dünn, aber hatte einen Durchmesser von 30 cm. Schokolade, Cola, Pommes Frites, das volle Randonneurs Buffet. Nach einer Stunde brachen wir kurz vor der Dunkelheit wieder auf.

Die nächsten 155 km waren dann schon ein Erlebnis, Plattfüße, in die Böschung gefahren, Kettenklemmer, aber auch eine Fahrt durch eine stille Nacht, einfach schön. Still? Bis wir durch die kleinen Dörfer fuhren. Da die Grundstücke nicht eingezäunt waren hatten die Hunde freien „Auslauf“. Manchmal sauste mit lautem Gebell eine ganze Meute um uns herum.

Da half nur noch treten. Nebenbei bemerkt: Es kam uns auch eine Kuh in der Dunkelheit entgegen oder es trabte ein Esel über die Straße. Überfahrene Schlangen lagen auf der Straße.

Wir waren eben in Bulgarien und nicht in Scharbeutz.

Wir waren schon mit unseren Kräften so ziemlich am Ende, da kam wieder dieser 12 km lange Anstieg, wir hatten aber schon mental auf Durchzug gestellt. Schlimmer war dann die Abfahrt, teilweise über sechzig Sachen, völlige Dunkelheit, Serpentinen, aber schlimmer war die Kälte. Schlotternd kamen wir am Hotel an, Lazar empfing uns mit kleinen Bulgarischen Fähnchen.

Nach 426 km 4100 HM, und einer Netto Fahrzeit von 16:31:00 h war das Ziel erreicht.

Aufs Zimmer, ich musste Aufpassen nicht beim Duschen einzuschlafen.

Nach 4 Std. Schlaf haben wir schon wieder gefrühstückt, der Hunger hatte uns wach gemacht.

Nun hatten wir zwei Tage frei. Der erste Tag wurde mit Schlafen, Essen, Erlebnisse austauschen und Rad - und Körperpflege verbracht. Radpflege war wichtig, so einige Sachen hatten sich schon gelockert. Das Buffet am Abend für 5 Euro war reichlig und sehr gut. Allgemein kann man sagen, dass alles um die Hälfte billiger gegenüber Deutschland ist.

Die Beinmuskulatur tat weh und war total verhärtet, aber es sollte Abhilfe geben. Am nächsten Morgen gab ich meinen Körper in die Obhut einer bulgarischen Masseurin. Die Frau als solches schon ein Wunder, nichts schlechtes Denken, sie war einfach nur eine schöne Frau.Bulgarien - hhWulff

Ihre Hände schienen Zauberwirkung zu haben, vom Kopf bis zum kleinen Zeh, alles erwachte wieder. Nach 45 Minuten war ich wie neugeboren.

Danach fuhren wir mit Nina, Karl aus Regensburg und Kalle und Frau mit dem Taxi ins unter Denkmal stehende Örtchen Nessebar. Ein Liner lag auf Reede. Die Touristensaison hatte begonnen. Nach einer Ortsbesichtigung kehrten wir in ein Cafe ein. Leckeres Eis, Kaffee, Kuchen und Pfannkuchen ließen wir uns schmecken.

Mit dem Bus ging es zurück, Einheitspreis 50 Cent pro Person, kassiert wurde von einem Schaffner im Bus.

Nach dem Abendessen ging es zeitig ins Bett, der 600er am nächsten Morgen forderte Erholung.

Die gesamte Strecke fuhren Nina, Karl, Kalle und ich zusammen, eine nette und kameradschaftliche Gruppe. So fahren Randonneure.

Halt, einen darf ich nicht vergessen, einen 76-jährigen Bulgaren-er war schweigsam, seinen richtigen Namen kannten wir nicht. Also tauften wir ihn Eddy Merckx. Fiel unsere Gruppe an Anstiegen mal etwas auseinander, Eddy blieb am Vorderrad des Führenden. Manchmal dachte ich, an meinem Hinterrad befand sich Pattex. Mussten wir „pieseln“, Eddy rollte langsam weiter, um sich dann wieder einzureihen. Bestimmte menschliche Bedürfnisse hatte er nicht. Eine kleine Trinkflasche am Rahmen, im Ziel noch halbvoll. Stopp, an einer Tanke pfiff er sich ein „Red Bull“ rein.

Bulgarien - hhWulffEs war eine sonnige schöne Tour durch herrliche Landschaften, anstrengend, aber mit unserer tollen Truppe ein Erlebniss.

An Kontrollstellen konnte man sich gut versorgen. In Sliven war es Lazars Frau, die mithalf, Nina kellnerierte. Ein bulgarisches Ehepaar, das den 600er mitfuhr, machte ein Tänzchen.

Es war alles so romantisch, aber wir mussten weiter. Nach 360 km kamen wir im Hotel an und konnten vor den letzten 262 km Essen, Duschen und etwas Schlafen. Beim 600er waren 5500 Hm zu überwinden.

Unser bulgarischer Eddy Mercks bedankte sich mit den Worten, zuerst auf Deutsch: Danke, eine tolle Gruppe.

Dann fügte er hinzu: You are strong drivers. Unser Herz ging auf. Später erfuhren wir, dass er früher zu den stärksten Bulgarischen Radsportlern gehörte.

Die zweite Etappe der 600er Strecke gingen wir dann wieder zu viert an. Es war wieder anstrengend, ein starker Wind pfiff uns auf den Hügeln bis Burgas entgegen, und das nach diesen harten Tagen. Auch das ging vorrüber und nachdem wir Burgas durchfahren hatten, war es mehr seitlicher Schiebewind.

An Sosopol vorbei ging es nach Varnata, Richtung Türkische Grenze, hügelig, rauf und runter. Im Varvara Restaurant, gleichzeitig Kontrollstelle, speisten wir dann wieder die platten Hähnchenschnitzel mit Pommes. Wir lachten und scherzten.

Nun waren noch 108 km unserer langen Reise zu fahren. Die Zielnähe motivierte und es rollte. Die Sonne schien, bis Burgas sollte es so bleiben. Dann kamen vom Meer schwarze Wolken. Es fing an zu nieseln. An einer Tanke zogen wir Regenkleidung über, dann ging es weiter. Ganze 100 m. Ein Schienenstrang kreuzte die Straße, Vorsicht wurde gerufen, aber Nina hatte eingefädelt, die Frau des bulgarischen Ehepaars, die seit ein paar Kilometern wieder mit uns fuhren, auch. Ein Truck kurz hinter uns musste eine Vollbremsung machen.

20 km vor dem Ziel, ärgerlich.

Bei Nina der Schock, aber nichts gebrochen, einige Blessuren, Kleidung leicht ruiniert. Noch Glück im Unglück.Rad fahrbar.

Wir einigten uns darauf, dass Karl bei Nina blieb, um mit ihr langsam ins Ziel zu rollen. Die ganz große Freude, es gleich geschafft zu haben, war nicht mehr da. Wir waren im Ziel.

Nina kam mit Karl eine Stunde später, der Schock war überwunden. Sie lachte schon wieder so herzerfrischend wie vor dem Sturz.

Das Hotel und Lazar luden uns zum Abschlussabend ein.

Fazit:

Diese Tour sollte man erlebt haben. Sie war anstrengend, hart und teilweise gefährlich.

Ich war froh, mein altes Stahlrad dabei gehabt zu haben. Das Material, der Mensch, hat gelitten.

1600 km in einer Woche und 17000 Höhenmeter bei den Straßenverhältnissen sollte man ohne gute Vorbereitung nicht so ohne weiteres angehen.

Bulgarien ist ein schönes Land mit vielen Gegensätzen, auch sicher im sozialen Bereich. Beeindruckt war ich von der Gastfreundschaft.

All das was wir erlebt und gesehen haben, wird keiner der Strandtouristen und Partygangs zu Gesicht bekommen.

Großer Dank an Lazar für die gesamte Organisation. Ein bescheidener Mensch, angenehm.

Und vielen Dank an alle meine Mitfahrer.

You are strong drivers, würde mein bulgarischer Freund „Eddy Mercks“ sagen.