Sonne satt und Donnerwetter beim 1. ARA Deutschland-Brevet

der dirk on tour

29.Mai – 01.Juni 2025

Ich liebe Premierenveranstaltungen, warum also nicht beim ARA Deutschland-Brevet „Tübingen-Kiel“ starten. One Way, mal was anderes und mein diesjähriges erstes Saison-Highlight. Also machte ich mich von Tangstedt/Stormarn/Schleswig-Holstein aus mit der DB nach Tübingen/Baden-Württemberg.
Mein leichtes Rennrad bestückte ich mit Lenker- und Oberrohrtasche und der bekannten "Arschrakete". In einem einfachen und leichten Nylonrucksack transportierte ich erstmal meine Verpflegung für den ersten Tag (Feiertag, kein Supermarkt geöffnet). Insgesamt ergab das 4 kg Zuladung an Nötigem. Okay, die Regenjacke und Überschuhe benötigte ich dann zum Glück doch nicht. Sonnencreme war stattdessen vom Start weg notwendig.

Start, Donnerstag, Tag 1

Von den fast 100 Anmeldungen, trafen sich 70 RadfahrerInnen am Himmelfahrts-Feiertag an der Panzerhalle unweit vom Necker in Tübingen. Anfangs ging es flott mit Westwind in größeren Gruppen voran. Das Bildermachen war dadurch etwas schwierig bzw. blieb leider aus. Das Vatertagsgeschehen, Bollerwagen, Bier und Co, hielt sich auf unserer Strecke in Grenzen.

Einige Teilnehmer hatten im Vorfeld Übernachtungen in Hotels gebucht, andere hatten ihr "Bettzeug" dabei oder suchten sich spontan was. Mein Plan war, die ersten 600km ohne Schlafpause, also die erste Nacht, durchzufahren.
Ich fuhr wiedermal analog mit Stempelkarte (alte Gewohnheit eines Jägers und Sammlers :-)). Es gibt auch die elegante und stressfreie digitale Variante. 9 Kontrollen waren insgesamt zu dokumentieren (entweder und oder Stempel, Bon, Foto), wobei die Durchfahrzeiten an diesen nur als Anhaltspunkte gedacht waren. Hauptsache die 75h Gesamtzeit wurde eingehalten und man war pünktlich in Kiel und hatte alle Kontrollen angefahren.

Der Track ging erstmal ostwärts und anspruchsvoll über die Schwäbische Alp. Einige Streckenabschnitte kannte ich von verschiedenen Radmarathons. Die ausgegebene Marschtabelle wies insgesamt ca. 9.000 Höhenmeter aus, mit einigen steileren Passagen. Die festgelegten Kontrollpunkte waren größtenteils 24Stunden Tankstellen, auch sonst gab es einige Hinweise für Versorgungsmöglichkeiten auf/an der Strecke. Die Route war ebenso mit viel Sorgfalt und mit Radfahrliebe/Erfahrung ausgearbeitet worden: man fuhr auf (sehr)guten Radwegen, ruhigen Nebenwegen, größere Straßen wurden weitgehend vermieden. Die großen Gruppen zerfielen aufgrund des welligen Streckenprofils recht schnell und auch ich war fuhr alsbald in einer 5er, aber konstanten Gruppe, in die erste Nacht. Nach der Rothenburg-Kontrolle war ich gegen 3 Uhr Nachts alleine auf der Strecke Richtung Rhön.

Freitag, Tag 2
>Die Rhön ist ein etwa 1500 km² großes Mittelgebirge im Grenzgebiet der deutschen Länder Bayern, Hessen und Thüringen.<

Den Anstieg zum nächsten Checkpoint, zum Radom auf der Wasserkuppe, absolvierte ich nach allein durchgeradelter Nacht gegen 7:30Uhr. Auf einer Bank konnte ich in der Morgensonne für 10 Minuten mal die Augen schließen. Mein Fahrplan lief jetzt schon gut 3 Stunden aus dem Ruder. Die Sonne schien inzwischen schon kräftig und es sollte ein richtig warmer Tag werden. Mit meinem jungen, dynamischen Radfreund Simon fuhr ich nach dem erforderlichen Kontrollfoto bergab nach Tann, wo wir Rolf vom Audax Club wiedertrafen.
Rolf wollte noch zur Apotheke und ich in Ruhe ausgiebig frühstücken und mich vorher frisch machen, incl. Zähneputzen. So trennten sich wieder unsere Wege.

"Tue zuerst das Notwendige, 
dann das Mögliche
und plötzlich schaffst du das Unmögliche!" 
(Franz von Assisi)

Alleine erreichte ich um 15 Uhr Mühlhausen in Thüringen als Kontrollpunkt 6. Hier traf ich Kai aus Freiburg und Rolf und Simon wieder. Mein gutes Helmlicht lieh ich Kai, es gab ein Problem mit seinem Frontlicht. Zu viert fuhren wir anschließend Richtung Harz. Nach meiner Planung wollte ich um 16/17 Uhr auf dem Brocken sein. Vollkommen utopisch. Wiedermal habe ich die Höhenmeter, vor allem aber die Steigungsprozente und den damit verbundenen Zeitfaktor bei meiner Planung vollkommen ausgeblendet. Was für ein Fehler! Eigentlich wollte ich mir nach dem Brocken die notwendige Übernachtung in der 2. Nacht in einem Hotel/Pension suchen. Nun aber würde ich gegen 22 Uhr den Brocken hochfahren und im Dunkeln bis nach Wernigerode bergabfahren, um dort höchstens in der Sparkasse nächtigen zu können. Kein guter Plan! Nach mehr als 36 Stunden ohne Schlaf wäre die nächtliche Abfahrt vom Brocken hochriskant. Ein Schlafplatz in der Sparkasse auch nicht gerade reizvoll. Also was tun? Ein Schlafplatz vor dem Brocken, idealerweise auf der Route, also in Elend oder in Schierke wäre toll. Nur - aufgrund des langen Wochenendes war der Harz komplett ausgebucht. Auch abseits war nix zu bekommen. Eine andere Option als weiterzufahren, bis zur Sparkasse, blieb mir anscheint nicht. Unbehagen und Zweifel machten sich breit. Sollte Schierke mein persönliches Waterloo werden?

Das Glück des Unverhofften
Durch die Veranstaltungs WhatsApp-Gruppe erfuhr ich, das ein Hamburger an der Wasserkuppe abgebrochen hat. Nach einem Telefonat bestätigte er mir, dass er ein 4 Bett Zimmer in der Jugendherberge in Schierke gebucht hatte. Sein Radkollege war in einer kleineren Gruppe unterwegs, jedoch mobil nicht mehr erreichbar. So fuhr ich nach Schierke, mit einer großen Portion Ungewissheit. War das Bett noch frei? Lohnen sich die Höhenmeter? Und - bis wann war Check-in?
Um 21:35Uhr war ich an der Jugendherberge, die genau auf dem Track liegt, und somit 10Minuten vor Ende der Öffnungszeit. Gerade so geschafft. Und?? Ja, das Zimmer wurde gebucht. Nein, es hat noch kein Radfahrer eingecheckt. Nach einem kurzen Telefonat mit Detlef aus Hamburg, konnte ich den Zimmerschlüssel vom Herbergsvater entgegennehmen. Ein Bett, eine Dusche und gekühltes Radler - was wollte ich mehr. Noch schnell ein Schild für die anderen an die Eingangstür der JHB angebastelt. Gute Nacht.

Samstag, Tag 3
Die 8,5h!! Auszeit waren für mich Quali-time. Zusammen fuhr ich mit Kai den Brocken, wie am Vorabend verabredet, gegen 6:30Uhr hoch. Gut geschlafen, geduscht, eingecremt und mit frischen Radklamotten war ich für den 3. Eventtag optimistisch gestimmt. Auf dem Brocken bzw. auf dem Weg dorthin herrschte schon reger Radbetrieb, es kamen uns einige Radkollegen aber auch andere Radfahrer entgegen, in beide Richtungen. Ein Wildwechsel war zu dieser Zeit nicht zu befürchten. Nach dem Brocken war der Elm hinter Schöppenstedt der letzte nennenswerte Anstieg dieser Tour. In der WhatsApp-Gruppe war von weiteren Abbrüchen zu lesen, wegen körperlichen Problemen, einige spezielle technische Defekte oder engem Zeitfenster betreff Zielzeit. 
Mit Kai bin ich die weiteren Kilometer bis kurz vor Uelzen (KP8) zusammengeblieben. Ab hier waren es noch genau 200 Kilometer und ich wiedermal solo on tour. Die Elbebrücke bei Lauenburg gegen 19Uhr passiert. Endlich in der Heimat! In Schwarzenbek gab es auf dem Bordstein ein letztes Abendbrot und mit 2 Radkollegen ging es (sehr) zügig zur letzten Kontrolle, nach Bad Oldesloe. Die dortige Tankstelle mit Nachtschalter gab nicht viel her, daher nur ein kurzer Stopp für mich. 
Die Überlegung kurz nach Hause abzubiegen, machte die Gewittervorhersage für Sonntagmorgen bei der Zieleinfahrt, zunichte. Lieber trocken ankommen als in neuen Radsachen nass. In Wahlstedt noch ein kurzes notwendiges 15minütiges Powernapping gemacht. Die restlichen Kilometer zogen sich hin, dafür war die Wegfindung jetzt auch mit müden Augen gar kein Problem für mich. Es war aber kälter als die Nächte davor oder lag es an der körperlichen Anstrengung und oder fehlender Energie? Aufpassen musste ich frühmorgens verstärkt auf Wildwechsel. Jetzt nur keinen Unfall haben. 4:57Uhr - Sonnenaufgang über Kiel und noch 20 Kilometer bis dorthin.

Im Ziel, Tag 4
Ohne weitere Vorkommnisse kam ich am 1.Juni exakt 6Uhr7 am Endpunkt dieser Wahnsinnstour an. Deutschland-Brevet bestanden, nach 1016 Radkilometer*. Fahrzeit brutto gut 68 Stunden. Damit erreichte ich Kiel nach meiner ursprünglichen Planung am Sonntagmorgen zwischen 6 und 7. Was für ein Timing! "Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!"

1 Stunde später zog die angekündigte Gewitterfront von Süden kommend über die Strecke und erreichte Kiel. Es gab ausgiebig Wasser von oben und es wurde ungemütlich. Die letzten Fahrer wurden noch richtig nass.

Resümee
Was für eine Tour. Was für ein Abenteuer. So viele Erlebnisse und Erkenntnisse auf und neben dem Rad. Mit Radfreunden gestartet, unterwegs neue kennengelernt und Freundschaften geschlossen. Neue Landschaften und unbekannte Gegenden kennengelernt. Das Glück des Unverhofften am Brocken erlebt. Sonne satt und Donnerwetter im Ziel. Ohne (großen) technischen Defekt das Brevet gemeistert. Kein Navigationsfehler & keine längeren Abkürzungen. Unfallfrei! Bin mit meiner Fahrleistung absolut zufrieden. >Ein Plan ist ein Plan< und muss sich ans Ziel orientieren bzw. sich dynamisch anpassen. Brevet-Premiere geglückt.
Mein gewähltes Setup und das mitgenommene Equipment haben wunderbar funktioniert. Die Regenjacke blieb zum Glück unbenutzt. Die Stromversorgung wurde nie zu einem Problem. *Sogar STRAVA lief zu 99% fehlerfrei (ich glaube es fehlen 5km Aufzeichnung). Und verloren habe ich unterwegs diesmal nix, gefunden allerdings auch nichts.

"Der Weg ist das Ziel - 
und die Reise dorthin,
das Glück auf zwei Rädern"

Zahlen: 98 Anmeldungen - 70 Starter - davon 5Frauen - ein Tandem - ca. 1/4 abgebrochen - 50 Finisher - Unfälle oder so wurden nicht gemeldet
Fazit: auch mit "wenig" organisatorischem Aufwand lässt sich so ein Brevet bewerkstelligen

Beim Deutschland-Brevet ging es 1000 Kilometer eindrucksvoll durch 6 Bundesländer, durch 33 Landkreise, entlang von großen Flüssen, durch unterschiedlichste Landschaften und verschiedene Baustiele/Architekturen und überquerten die ehemalige deutsch-deutsche Grenze.
Vieles Neues von Deutschland gesehen. Aber eben nicht alles. Bin gespannt und hoffe auf eine Fortführung dieser Deutschland Brevet-Serie. Bis dahin - Bon route!
Vielen Dank an den ARA Schönbuch und allen anderen Mitwirkenden für dieses neue D-Brevet.
der dirk on tour

PS: das an Kai gegebene Helmlicht bekomme ich irgendwie irgendwann bestimmt zurück, ich weiß ja wo Überlingen liegt, 1000 Rad-Kilometer, diesmal südwärts ;-)