Paris-Brest-Paris oder meine Reise zum Mond

Gerd Stettin

Rechtzeitig zum 18. Paris-Brest-Paris wieder aufgetaucht und endlich öffentlich: einer der ersten deutschen Berichte zu Paris-Brest-Paris aus dem Jahr 1999 - die Zeit der Pioniere...

gStettin PBPEs ist mittlerweile wieder heiß geworden und trotzdem fahre ich mit über 30 Sachen auf Paris zu. Nur noch rund 20 Kilometer, nur ganz wenige Wellen und ich werde auf das Rondell vor dem Gymnasium der Menschenrechte einbiegen. Davon träume ich schon eine ganze Weile. Ich bin auf dem Rückweg aus Brest, hinter mir liegen über 1.200 anstrengende Kilometer. Noch nie bin ich soweit gefahren. Vor dreieinhalb Tagen habe ich dieses Abenteuer begonnen - etwas mulmig war mir schon. Und jetzt hab ich diese lange Tour in der Tasche.

Noch wenige Kilometer - das Rad fliegt förmlich dahin. Guyancourt ist erreicht - weiter treten - jetzt geht es die kleine Rampe hinauf zum Rondell. Vorbei an den vielen Leuten, die immer noch ausharren, um uns mit großem Applaus zu begrüßen. Es ist geschafft, ich bin ein "Finisher". Am Ziel warten meine Frau, meine Tochter und mein Sohn. Wir fallen uns lachend in die Arme.

Was für ein Empfang - was für ein Tag!

Wie alles begann

Als ich die Novemberausgabe `98 der Zeitschrift "tour" durchblätterte, viel mir eine kleine Meldung ins Auge. Dort wurde beschrieben, daß sich die Randonneure auf das im nächsten Jahr stattfindende Großereignis Paris-Brest-Paris vorbereiten. Eine Fernfahrt über 1200 Kilometer. Lächelnd las ich meiner Frau vor, was für Spinner immer noch frei herumlaufen. Losgelassen hat mit der Gedanke, selbst teilzunehmen aber nicht mehr. Ganz schlimm wurde es im März 1999. Die erste Prüfung über 200 Kilometer stand in Hamburg an. Da 200 Kilometer alles andere als erschreckend sind, nahm ich teil. Einen 300 Kilometer Distanz beurteile ich ähnlich - also brachte ich Sie im französischen Belfort hinter mich. Ein sehr schönes Erlebnis war auch meine erste Nachtfahrt, die 400 Kilometer Prüfung in Hamburg. Das ging eigentlich alles ganz gut, so daß ich spätestens jetzt beschloß, die 600 Kilometer hinter mich zu bringen, um mich dann für PBP de zu bewerben.

Ouverture

gStettin PBPGestartet wird Montags, jedoch ist es erforderlich, das Fahrrad und die persönliche Ausrüstung am Sonntag zuvor vorzuführen. So trafen wir mit Sack und Pack am Sonntag Vormittag in Paris ein. Die Abnahme ging schnell von statten und der Prüfer hatte Bewunderung für mein klassisches, kaum durch Gepäck verunstaltetes Fahrrad übrig. Das gefiel natürlich.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Zeltaufbau und der Kalorienzufuhr. Es ist Nudelzeit!

gStettin PBPDen Montag verwende ich zur Vorbereitung obwohl doch eigentlich alles vorbereitet ist. Ich wechsele die Bremsbeläge, spiele und horche an der Schaltung, montieren neue Pedalplatten, wickle Lenkerband und packe meinen Rucksack wahrscheinlich zum zehnten Mal ein und wieder aus. Gemeldet habe ich mich für den Start um 22 Uhr, das ist die Startgruppe, die am längsten Zeit, nämlich 90 Stunden, für die Tour hat. Da hier am meisten Starter losfahren, rund 2.500, wird die Gruppe nochmals in Untergruppen unterteilt werden, die mit 15-minütigen Abstand hintereinander herfahren. Vor dem Start ist noch die traditionelle Nudelparty angesagt.

Spätestens jetzt, in einer langen Schlange für Nudeln anstehend, packt mich die Faszination von Paris-Brest-Paris. Aus der ganzen Welt treffen sich hier die Randonneure alle viele Jahre. Direkt hinter mir steht einer aus Südafrika.
Und die Vehikel – dreirädrige Liegetandems, ein Liegetandem mit Achsschenkellenkung, ein Fahrrad aus der Jahrhundertwende - alles erlaubt, Hauptsache das Gefährt wird nur durch Muskelkraft vorangetrieben.

Spätestens jetzt, in einer langen Schlange für Nudeln anstehend, packt mich die Faszination von Paris-Brest-Paris. Aus der ganzen Welt treffen sich hier die Randonneure alle viele Jahre. Direkt hinter mir steht einer aus Südafrika.
gStettin PBPUnd die Vehikel – dreirädrige Liegetandems, ein Liegetandem mit Achsschenkellenkung, ein Fahrrad aus der Jahrhundertwende - alles erlaubt, Hauptsache das Gefährt wird nur durch Muskelkraft vorangetrieben.

Nachdem Essen begebe ich mich in den Innenraum des Stadions. Ich bin der letzten Gruppe. Um dreiviertelelf fahre ich los. Ein paar tausend Menschen dürften es schon sein, die uns hier und entlang der Straßen von Guyancourt, einem Pariser Vorort, verabschieden. "Bon voyage!" rufen sie. Ja, dies ist keine Radtour und kein Marathon, es ist eine Reise! Mir wird das jetzt erst richtig bewußt und bei jedem Ruf fährt mir ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Dann geht es in einem fast endlosen Lichtermeer aus LED-Rückleuchten hinein in die Nacht.

Der Hinweg

gStettin PBPAm meisten Sorgen mache ich mir wegen des großen Pulks.  Also fahre ich vorneweg. Gewonnen ist dadurch nichts, denn schon bald fahre ich auf die Gruppe auf, die um 22 Uhr 30 gestartet ist. Ich versuche nun vernünftig zu sein und meinen Rhythmus zu fahren. Es klappt nicht. Bald kommt ein Vierer von hinten auf, die "Alaska Randonneure". Als mich einreihe höre ich "five in a lane" – der Fünfer rollt. Für mich eigentlich viel zu schnell. Nach fünfeinhalb Stunden erreichen ihrer Mortagne au Perche. Die Alaska-Randonneure gehen essen und ich fahre alleine weiter. Leider zwingt mich die Müdigkeit, mir im Morgengrauen eine ordentliche Mütze Schlaf zu gönnen. Nach einer Stunde geht´s weiter. In einem kleinen Dorf erliege ich den Gerüchen aus einer kleinen Bäckerei, die gerade aufgemacht hat. Wunderbar - diese französischen Croissants au Chaocolate. Kurz nach neun erreiche ich Villaine la Juhel, Partnerstadt Bad Liebenzells und erste Kontrollstelle. Ich esse, fülle meinen Camelbak auf und mache mich wieder auf die Socken. Es wird warm werden heute und ich liege schon jetzt erheblich sogar hinter meinem vorsichtigen Zeitplan zurück.

gStettin PBPBei knapp 30 Grad Lufttemperatur fahre ich Richtung Fougeres, das ich nach vierzehn Stunden Fahrzeit erreiche. Erst 300 Kilometer sind geschafft und doch fühle ich mich völlig ausgelaugt. Ich wünsche mir, ungefähr in dieser Reihenfolge, eine kalte Dusche, ein kaltes Weizen, heiße Pasta und ein warmes Bett. Mit solchen Tagträumereien warte ich im Schatten auf Carola.

An Weiterfahren ist jetzt nicht zu denken. Also beschließe ich, mich solange wie möglich auszuruhen. Mit viel Obst, Vitaminen und Elektrolyten gestärkt, versuche ich es nach über vier Stunden Pause nochmal. Muß ich auch – will ich die Kontrollzeit in Tinteniac nicht verpassen. Die 60 Kilometer dorthin sind fast eben, also leicht zu fahren. Es ist jetzt fast sechs Uhr und schon etwas kühler. Nach zwei Stunden erreiche ich Tinteniac. Carola wird mit den Kindern hier bleiben und auf mich warten. Wir suchen für sie ein Hotel. Hier gibt´s nochmal Salat und viel zu trinken. Ich fühle mich inzwischen wieder besser und mache mich um dreiviertelzehn auf den Weg in die zweite Nacht.

Nachts fahren strengt an. Glücklicherweise bin ich aber nicht mehr so ausgepumpt und es gelingt mir, ohne Schlafpausen Loudeac zu erreichen. Kurz vor diesem Etappenort kommen mir die Schnellsten entgegen! Nur rund 30 Stunden seit Paris haben sie 800 Kilometer hinter sich gebracht. Nach kurzer Stärkung und einer einstündigen „Liegepause“ verlasse ich Loudeac. Zunächst denke ich, daß ich die Nacht gut überstehe, aber bereits 40 Minuten später zwingt mich der Schlaf wieder rechts ran. Auf dem Treppenabsatz eines Hauseingangs kauere ich mich zusammen und schlafe eine halbe Stunde tief und fest. So fest, daß es hinterher wieder gut geht. Kurz vor sieben fahre ich in Corlay ein. Hier gibt es eine Geheimkontrolle. Ich treffe Claus, den Präsidenten der deutschen Randonneure. Er ist in der 5 Uhr Gruppe gestartet und hat mich schon eingeholt.

Pünktlich um sieben zieht eine Bäckersfrau den Rolladen hoch und ich genehmige mir "schon" wieder köstliche Schokoladencroissants, frisch aus dem Ofen. Zwei Stunden später erreiche ich mit Peter und Bob von den Alaska-Randonneuren, die von hinten aufkommen, Carhaix. Hunger habe ich schon wieder und ich treffe einige bekannte Gesichter. An diesem Morgen wird mir bewußt, daß ich ein Anfänger bin und daß PBP weder ein 600 Kilometer Marathon ist und schon gar nicht dero zwei. Die erfahrenen Randonneure sind bis Carhaix relativ langsam aber praktisch ohne Pause gefahren. Hier genehmigen sie sich ein richtige Portion Schlaf und sehen um 9.00 Uhr morgens sehr frisch aus. Ganz anders als ich.

Bereits durch das Routenstudium im Vorfeld von PBP weiß man, daß sich dem Erreichen von Brest ein relativ hoher Berg entgegenstellt. Von der Ostseite sind bis zum Gipfel des Roc Trevezel rund 300 Höhenmeter, von der Westseite, auf dem Rückweg,  fast 400 Höhenmeter zu überwinden. Nun kennt jeder Rennradfahrer die Situation, nach 150 Kilometern einen richtig dicken Berg hochfahren zu müssen. Bei einem der bergigsten deutschen Marathons, dem Alb-Extrem, sind ab Kilometer 200 (lange Strecke) noch über 900 Höhenmeter zu fahren. Jetzt, am Fuße des Roc Trevezel, befinde ich mich aber 520 Kilometer nach Paris! Nun, an dieser Stelle merke ich, daß bei einer solchen Langstreckenfahrt auch viel Psychologie im Spiel ist. Sind die Knie beim Start in Carhaix noch ein bißchen weich, so rolle ich dann doch stetig bergan. Trotz Regen und, in den höheren Lagen, heftigem Gegenwind, benötige ich für die 34 Kilometer zum höchsten Punkt nur eineinhalb Stunden. Die Abfahrt vergeht natürlich wie im Fluge, doch wer denkt, daß man vom "Roc" bis ans Meer und bis Brest nur noch bergab fährt, täuscht sich gewaltig. Eine Unzahl von Wellen ist noch zu überwinden, gleichwohl wird eine frische Westbrise vom Atlantik mehr als geschwindigkeitshemmend spürbar. Blas´nur so weiter, denke ich, bald fahre ich in die andere Richtung!

Brest

Brest erreicht man über die alte Brücke, dem Pont A. Louppe. Was für ein Bild und was für ein überwältigendes Gefühl! Ein Freudentränchen rollt mir die Wange hinunter - Brest, das "B" in PBP und ich bin da!

Jeder Teilnehmer mußte, um sich zu qualifizieren, mindestens schon einmal 600 Kilometer zurücklegen. Bei PBP markiert diese Distanz aber erst das Bergfest. Zudem wird für einen Neuling wie mich spätestens jetzt deutlich, warum PBP selbst bei RAAM-Fahrern gefürchtet ist. Ich hatte gelesen, daß solche Leute, die fast 5000 Kilometer am Stück fahren, sehr respektvoll von PBP sprechen. Zunächst hatte ich dies nicht verstanden und für einen Akt der Höflichkeit abgetan. Inzwischen ist mir klar geworden, daß diese Fahrt etwas ganz besonderes ist. Der Blick auf den bis hierher gefahrenen Durchschnitt spricht Bände. Inklusive aller Pausen erreiche ich 16 Km/h, berücksichtigt man die reine Fahrzeit, so komme ich gerade mal auf 22 „Sachen“. Vorgestern hatte ich dies so nicht erwartet. Selbst die pessimistischste meiner drei Marschtabellen war schneller. Zwei durchgefahrene Nächte, die ständigen Wellen, die außer auf dem Stück zwischen Fougeres und Tinteniac keinen Rhythmus aufkommen lassen, und, zumindest 1999, Wind aus westlicher Richtung, machen Paris-Brest viel anstrengender als die Papierform vermuten läßt. Bis Brest geben fast 500 Teilnehmer auf.

Das alles geht mir durch den Kopf, während ich mich im Restaurant einem kulinarischen Höhepunkt in geschmacklicher und vor allem quantitativer Hinsicht hingebe. Eine Stunde halte ich es darauf im Sattel aus, bis mich eine Parkbank zu einem Verdauungsschläfchen einlädt. Die Sonnenstrahlen ersetzen die fehlende Decke und wenn mich nach einer weiteren Stunde nicht ein Spaziergänger geweckt hätte, so wäre ich in Gefahr gewesen, den Kontrollschluß in Carhaix zu verpassen – schön war´s trotzdem!

Der zweite Wind

Als ich mich von der Parkbank erhebe ist es kurz vor fünf. Seit 41 Stunden bin ich unterwegs und die Kontrolle in Brest hat seit einer Stunde geschlossen. Noch nie bin ich im Leben 600 Kilometer gefahren, um gleich anschließend nochmal so weit zu fahren. Erfahrene Langstreckenfahrer haben mir vom „Zweiten Wind“ erzählt – auch wieder so eine Geschichte, an die es zu glauben schwer fällt. Nun, ich muß mich sputen, ob es diesen zweiten Wind nun gibt oder nicht. Das Ziel am Ende dieser Nacht heißt Tinteniac und ich freue mich darauf, Carola und die Kinder dort wieder zu treffen. Bis dahin sind es noch 220 Kilometer.

Schon beim Aufstieg zum Roc Trevezel merke ich etwas Wunderbares – diesen zweiten Wind, es gibt ihn wirklich. Ich habe keine Ahnung, wie so etwas möglich ist. Ist es die Erkenntnis, das längste Stück hinter sich zu haben? Oder daß ja nur noch nach Paris gefahren werden muß? Oder ist es eine Überdosis Endorphine, die beim Überqueren des "Roc" ausgeschüttet werden? Vielleicht von allem etwas, jedenfalls ist der zweite Wind nicht nur eine individuelle, gefühlsmaßige Wahrnehmung, sondern er läßt sich sogar statistisch belegen: Bis Brest geben 14% der gestarteten Teilnehmer auf, auf dem Rückweg nur noch 3%.

Zum zweiten Wind kam noch der glückliche Umstand eines sehr realen und faßbaren Westwindes. So stürmte ich mit einem 25er Schnitt zurück nach Carhaix, trotz Roc Trevezel. Nach weiterer Kalorienzufuhr, diesmal in Form einer Pizza, fahre ich mit einem Kalifornier in die Nacht. Den Treppenabsatz kurz vor Loudeac habe ich ja schon auf der Hinfahrt getestet. In dieser Nacht genügen mir aber 30 Minuten Schlaf. Insgesamt erreiche ich einen für mich erstaunlichen 20er Schnitt, vorbei an Loudeac, einer Geheimkontrolle in Qxxx, erreiche ich Tinteniac kurz vor sieben. Nach einer Dusche falle ich neben meinen schlafenden Kindern ins Bett – 360 Kilometer vor Paris.

 

Der letzte Tag

gStettin PBPNach einem gigantischen Frühstück im Familienkreis mache ich mich um halb elf wieder auf den Weg. Fougeres ist nach zweieinhalb Stunden locker erreicht. Carola ist schon da. Sie macht sich zeitgleich mit mir auf den Weg nach Villaine, wo wir uns nochmal treffen wollen. Vor meiner Bewerbung für PBP mußte ich Carola versprechen, auf diesen langen Touren niemals irgendein Harakiri zu unternehmen und mir auch unter extremen Umständen einen Rest Vernunft bewahren würde – das schloß explizit die Möglichkeit einer Aufgabe bei anzunehmender gesundheitlicher Gefährdung ein. Bedenken hatte ich persönlich, wenn überhaupt, nur hinsichtlich der Müdigkeit. Geschult durch hunderttausende nächtlicher Autobahnkilometer und reichlich Erfahrung mit dem berühmten Sekundenschlaf, schloß ich eine Gefahr jedoch aus. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, daß man auf einem Fahrrad sitzend einschlafen könne. Man kann! In der warm strahlenden Nachmittagssonne passiert´s. In voller Schräglage wache ich auf der Gegenfahrbahn kurz vor Erreichen des Straßengrabens auf. Einen Sturz kann ich gerade noch verhindern, Gegenverkehr gab es glücklicherweise keinen. Schockiert und mit reichlich Adrenalin im Blut lege ich mich in den Schatten.  

Nach einem gigantischen Frühstück im Familienkreis mache ich mich um halb elf wieder auf den Weg. Fougeres ist nach zweieinhalb Stunden locker erreicht. Carola ist schon da. Sie macht sich zeitgleich mit mir auf den Weg nach Villaine, wo wir uns nochmal treffen wollen. Vor meiner Bewerbung für PBP mußte ich Carola versprechen, auf diesen langen Touren niemals irgendein Harakiri zu unternehmen und mir auch unter extremen Umständen einen Rest Vernunft bewahren würde – das schloß explizit die Möglichkeit einer Aufgabe bei anzunehmender gesundheitlicher Gefährdung ein. Bedenken hatte ich persönlich, wenn überhaupt, nur hinsichtlich der Müdigkeit. Geschult durch hunderttausende nächtlicher Autobahnkilometer und reichlich Erfahrung mit dem berühmten Sekundenschlaf, schloß ich eine Gefahr jedoch aus. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, daß man auf einem Fahrrad sitzend einschlafen könne. Man kann! In der warm strahlenden Nachmittagssonne passiert´s. In voller Schräglage wache ich auf der Gegenfahrbahn kurz vor Erreichen des Straßengrabens auf. Einen Sturz kann ich gerade noch verhindern, Gegenverkehr gab es glücklicherweise keinen. Schockiert und mit reichlich Adrenalin im Blut lege ich mich in den Schatten.
 
gStettin PBPDie Etappen werden jetzt doch immer kürzer. In Villaine gibt es noch mal reichlich Kalorien bei einem gemeinsamen Abendbrot mit der Familie. Knapp 1.000 Kilometer liegen jetzt hinter mir und Carola läßt sich zu der Bemerkung hinreißen, daß ich es ja bald geschafft habe. Bald. Bis Paris sind es noch 220 Kilometer, also der Distanz eines handelsüblichen Marathons. Der zweite Wind verliert zusehends an Kraft und die ersten Beschwerden machen sich immer vehementer bemerkbar. Müde bin ich nicht besonders, aber auf eine eigentümliche Weise abgespannt. Die Lust, Rad zu fahren, ist verflogen. Das Sitzfleisch drückt. Überhaupt hängt mir die XL-Rennhose etwas schlaff am Leib, meine Reserven sind aufgebraucht. Die Wahnvorstellung, fünf Kilo Nudeln essen zu wollen, wird mich trotz des ausgiebigen Abendmahls durch die Nacht begleiten.

Die Etappen werden jetzt doch immer kürzer. In Villaine gibt es noch mal reichlich Kalorien bei einem gemeinsamen Abendbrot mit der Familie. Knapp 1.000 Kilometer liegen jetzt hinter mir und Carola läßt sich zu der Bemerkung hinreißen, daß ich es ja bald geschafft habe. Bald. Bis Paris sind es noch 220 Kilometer, also der Distanz eines handelsüblichen Marathons. Der zweite Wind verliert zusehends an Kraft und die ersten Beschwerden machen sich immer vehementer bemerkbar. Müde bin ich nicht besonders, aber auf eine eigentümliche Weise abgespannt. Die Lust, Rad zu fahren, ist verflogen. Das Sitzfleisch drückt. Überhaupt hängt mir die XL-Rennhose etwas schlaff am Leib, meine Reserven sind aufgebraucht. Die Wahnvorstellung, fünf Kilo Nudeln essen zu wollen, wird mich trotz des ausgiebigen Abendmahls durch die Nacht begleiten.

Vier Pausen, alle 10-20 Minuten lang, brauche ich bis Mortagne au Perche. Mit einem quälenden 16er Schnitt fahre ich durch die Nacht. Die vorletzte Kontrollstelle erreiche ich um halb drei. Mit Tee versuche ich dort einige Riegel und Gels hinunterzuwürgen, Nudeln packe ich augenblicklich keine. Das folgende Teilstück bis Nogent le Roi wird eine einzige Quälerei. Auf meinem 600er Brevet habe ich so etwas schon einmal erlebt. Natürlich habe ich gehofft, eine Situation, die im Rückblick auf totale Dehydrierung und Unterzuckerung zurückzuführen ist, zu meistern. So richtig erinnern kann ich mich nicht. Wie in Trance bewege ich mich mit schweren Tritten auf Nogent zu. Ich weiß noch, daß ich mich vor Müdigkeit ein paar Minuten einfach auf den Asphalt gelegt habe, daß ich im Morgengrauen beim Batteriewechsel laut vor mich hingeflucht habe und daß kurz vor Nogent eine Büchse Cola die allerletzten Reserven, wahrscheinlich durch das enthaltene Koffein, weniger durch den Zucker, mobilisiert hat.

In Nogent ist ein langes Büffet (30 Meter?) aufgebaut. Ich nehme von allem etwas und stopfe Unmengen von Nahrungsmitteln in mich rein. Damit fertig, treffe ich meine Alaska-Randonneure wieder. Die Euphorie ist wieder da. „We did it“ sagen wir schon jetzt. Nach weiteren 60 Kilometern erreiche ich die Vororte von Paris.

Irgendjemand hat einmal gesagt, daß der, der wieder in Paris ankommt, nicht mehr derselbe ist, der er beim Aufbruch nach Brest war. So ist es.

Weitere Informationen:

Auf und ab - das Höhenprofil von Paris nach Brest
Wie ein Diesel - der Leistungsbedarf auf der Langstrecke
Ohne Mampf kein Brest - was man so zu sich nehmen muss
AUA - ganz ungeschoren kommt keiner davon!
Laufen wäre schlimmer gewesen - Fahrrad und Ausrüstung