Heidi und Karl Weimann vom ARA-Startort Nordbayern-Fränkische Alb haben im Jahr 2000 mit dem Organisieren von Brevets begonnen, d.h. sie vollendeten im Jahr 2024 ein Vierteljahrhundert. Damit weisen sie nicht nur Durchhaltevermögen auf der Brevetstrecke nach, sondern zeigen ihre Konstanz auch in der wirklich langen Sicht in der Disziplin des Brevet-Organisierens. ARA gratuliert sehr herzlich und hat mit Heidi und Karl ein Interview geführt.
ARA: Wie fing alles an? Warum habt Ihr den Entschluss gefasst, selber Brevets zu organisieren?
Heidi und Karl: 1994 stieß Karl auf eine Notiz in einem Radsportmagazin über eine 1200km-Fahrt. Es war lediglich eine Telefonnummer angegeben, die man bei Interesse anrufen könne. Es meldete sich ein gewisser Claus (Czycholl). Er klärte mich auf, was es mit dieser Fahrt auf sich hätte und er auf der kompletten Qualifikation im Vorjahr von PBP bestünde. Das war an einem Mittwoch. Das erste Quali-Brevet war am Samstag - ich habe mich Freitagmittag nach der Arbeit ins Auto gesetzt und ab nach Hamburg.
Die Faszination war mit dem ersten Brevet da. 1995 das erste PBP, 1999 das zweite Mal, alle Quali-Brevets in Hamburg, jedesmal 600 km einfache Fahrt.
1999 wollte Claus auch im Süden Deutschlands einen Startort installieren und fand einen Organisator in München. Auch Karl hatte sich beworben, denn die langen Fahrten, zurück in stinkenden Klamotten und montags übermüdet im Büro zu hocken, fand er nicht so prickelnd.
Für Osterdorf (unser erster Startort) sah Claus keine Zukunft: zu klein, zu abgelegen. Doch trotz seiner Bedenken meinte er, Karl könne es ja mal versuchen. Der wollte es aber nicht alleine durchziehen, denn er hatte eine andere Vorstellung, bzw. Erfahrung als Claus von der Organisation der Brevets. Es gab damals in Hamburg weder die Möglichkeit vor Ort zu duschen oder sich unmittelbar zu verpflegen. Das wollte Karl den Randonneuren bieten, da aber Osterdorf ein Minidorf ist = nix da außer der alten Schule, das wurde der Mittelpunkt der Randonneure, holte er Heidi ins Boot. Damit war die persönliche Betreuung, der Empfang, das Frühstück - das tatsächlich legendär wurde, und die Verpflegung im Ziel gesichert.
ARA: Welche Erinnerungen habt Ihr an das allererste Brevet?
Heidi und Karl: Unser erstes Brevet war für die 18 Teilnehmer unseres ersten 200-ers eine Art Initialzündung. Karls Begeisterung fürs Langstreckenfahren übertrug sich auf die Sportler und ihre Begeisterung war auch für uns und unsere Familie ein Funke, der noch immer glimmt. Dieses erste Brevet und erste Jahr ist für uns und unsere Familie eine bleibende Erinnerung, die uns noch immer lächeln läßt.
ARA: Man kann sagen, dass ein Brevet bei Euch eine Art "Volksfest" ist. Könnt Ihr beschreiben, wie alles abläuft? Man denkt ja, dass Treuchtlingen, Euer Startort, ein kleines beschauliches Kaff ist. Allerdings habt Ihr besonders viele Randonneure aus anderen Regionen und dem Ausland angezogen. Woher kommen diese Teilnehmer und welche Kontakte/Freundschaften haben sich entwickelt?
Heidi und Karl: Für die Dorfbewohner war jedes Brevet eine Art Volksfest. Von dem auf dem Dorfanger geparkten Fahrzeugen wurden die Kennzeichen gesichtet und mit Erstaunen festgestellt, daß niemand aus der Region da war! Es waren Radfahrer aus dem gesamten süddeutschen Raum und schon im zweiten Jahr aus ganz Deutschland,
dann Österreich, der Schweiz, Belgien usw. 20 Jahre lang waren nur drei Randonneure aus unserem Landkreis dabei.
Das Teilnehmerfeld ist international geworden, Menschen aus 33 Nationen konnten wir bei uns begrüßen. Europäische Gäste waren und sind jedes Jahr da, aber auch Langstreckenbegeisterte aus USA, Kanada, Asien und Afrika hatten wir schon hier. Auch heuer hat sich bereits ein Teilnehmer aus Kanada angemeldet, der tatsächlich für das 200 km-Brevet aus Kanada anreist.
In der langen Zeit beobachteten wir, wie sich Freundschaften über Grenzen hinweg entwickelten, wie der Startort zum Treffpunkt auch für Familien geworden ist, die es in die verschiedensten Regionen verschlagen hat. Für uns eine Freude und Ansporn weiterzumachen.
ARA: Wie viele Teilnehmer waren beim teilnehmerstärksten Brevet dabei?
Heidi und Karl: Das teilnehmerstärkste Brevet, das wir veranstalteten war im Jahr 2015 ein 200 km-Brevet, zu dem sich ca. 250 Randonneure angemeldet hatten. 248 gingen an den Start, es war toll!
ARA: Welche besonderen Erlebnisse fallen Euch ein?
Heidi und Karl: besonders die jährlichen Saisonabschlüsse, genannt "Spasstour". Da hatten wir live Musik, oder mal einen Banker, der als Schotte auftrat, oder den Weltmeister im Trialfahren, der aus einem Nachbarort stammt hier und, und, und.
Wir haben uns jedes Jahr um eine Besonderheit bemüht, was auch bei den Familien Eindruck hinterlassen hat, denn sie konnten an diesem Tag mit dabei sein.
ARA: Legendär sind auch Eure sehr langen Brevets über 1000 km und der 1200-er. Was gibt es hierüber zu berichten?
Heidi und Karl: Schon in unserem zweiten Veranstaltungsjahr entschlossen wir uns, ein 1000 km-Brevet zu veranstalten, zusammengesetzt aus der 400 km und 600 km Strecke, die in entgegengesetzter Richtung gefahren wurden und deshalb ganz neu war, und bekannt wurde als die "Große Acht durch Bayern". Sieben Randonneure gingen an den Start, nur DREI - kamen ins Ziel. Wir wählten Kontrollstellen aus, an welchen die Randonneure nicht nur ihre Startkarte gestempelt bekamen, sondern sich auch verpflegen konnten. Eine der Kontrollstellen war (und ist immer noch beim 600 km-Brevet) eine Autobahnraststätte, wo die Küche im Laufe der Jahre sogar eine Randonneur-Speisekarte auflegte!
Einmal war der 1000-er sogar das weltweit teilnehmerstärkste 1000 km-Brevet und wir erhielten dafür eine Auszeichnung vom Audax Club Parisien, auch für die vorbildliche Durchführung. Leider konnten wir aus gesundheitlichen Gründen den 1000er nicht mehr durchführen.
Mit dem Erfolg des 1000km Brevets kam natürlich auch die Idee ein 1200 km-Brevet anzubieten. Die Vorbereitungen dazu nahmen ein ganzes Jahr in Anspruch. Karl arbeitete eine vollkommen neue Strecke aus, die sich an den Außengrenzen Bayerns orientierte. Wir nahmen Kontakt mit Vereinen auf, die sich auf dieser Linie befanden. Mehr als 10.000 km legten wir mit dem Auto zurück um Kontrollstellen zu finden, die den Standard bieten konnten, den wir uns vorstellten. Auch Überzeugungsarbeit mußte geleistet werden, doch auch da stellten wir fest, dass sich unsere Begeisterung auf andere Menschen übertrug und viele tolle Ideen von den jeweiligen Vereinsmitgliedern eingebracht wurden, um das Brevet ein Event werden zu lassen.
Es kamen Teilnehmer aus der ganzen Welt, und langjährige Teilnehmer und Freunde unseres Standortes. 2009 hatten wir sogar die Pappenheimer Stadtkapelle für ein Standkonzert nach Osterdorf eingeladen. Dieses Ereignis ist den Osterdorfern noch immer in Erinnerung. Keinen Anklang und keine Anerkennung fanden wir bei den anderen Organisatoren, bis auf einen, der sogar eine Kontrollstelle für uns einrichtete: Jörg Beyreuther. Ihm (posthum) ein großer Dank, und auch seiner Frau.
Der Aufwand für den 1200er, den wir 2009 und 2014 durchführten, war jedoch so groß, daß er finanziell nicht mehr zu stemmen war.
ARA: Nicht gut Kirschen essen ist mit Euch, wenn jemand gegen die Regeln verstößt. Und in aller Munde sind die Geheimkontrollen. Plaudert doch ein bisschen aus dem Nähkästchen!
Regelverstöße waren und sind uns ein Dorn im Auge. Wir stellten fest, dass immer wieder einige Randonneure versuchten, die Strecke nach ihren Vorstellungen zu gestalten und deshalb Abkürzungen suchten. Um dem vorzubeugen, richteten wir immer mal wieder unangekündigte "Geheimkontrollen" ein, vorzugsweise in den PBP-Jahren.
Was natürlich auch für Ärger sorgte, wenn dann tatsächlich Jemandem die Wertung des Brevets verweigert wurde, weil ihm der Stempel der Geheimkontrolle fehlte. 2015 mußten wir 15 Randonneuren - auch für uns eine Überraschung - disqualifizieren, sogar einen Brevet-Organisator. Üble Beschimpfungen waren die Folge. Seither sind jedoch wesentlich weniger Disqualifizierungen nötig.
ARA: Woher nehmt Ihr so viel Motivation, um sooo viel Arbeit auf Euch zu nehmen?
Heidi und Karl: Teilnehmer des ersten 200-ers fahren auch noch heute die Brevets bei uns, manche waren zehn Jahre nicht mehr da und melden sich nun mit Sohn, Frau oder Freundin an, um ihnen das Brevetfahren nahe zu bringen.
ARA: Wie teilt Ihr Euch die Arbeit auf? Wer ist noch mit dabei?
Heidi und Karl: Von Anbeginn waren wir zu zweit, Karl und Heidi, die Brevets auszuarbeiten und auf die Beine zu stellen. Karl stand für die Strecken- und Kontrollstellenauswahl, Heidi für den Rest, Kontaktaufnahme mit den Kontrollen, Vorbereitung und Druck der Startunterlagen, Halten der Stellung vor Ort.
Karl fuhr alle Brevets mit und konnte daher auch all die Jahre Verbesserungen der Strecken aufgrund der eigenen "Erfahrung" vornehmen.
Anfangs unterstützten uns unsere Kinder vor Ort, unsere Begeisterung konnten sie jedoch nicht in gleichem Maße, wie wir sie hatten, teilen. Mit dem Erwachsenwerden fanden sie neue Interessen und wir beide waren wieder auf uns gestellt. Jetzt führe ich die Enkel an meine Passion heran. In zwei Jahren, so hoffe ich, werden sie die ersten Brevets mitfahren.
Noch immer wird in der Woche vor Start jedes Brevet von Karl und Freund/in mit dem Rad abgefahren und kontrolliert. Das ist auch der Grund, weshalb die Freigabe der Strecke erst drei Tage vor dem Brevet erfolgt.
Corona hat seine Spuren hinterlassen und unser ALTER: Karl kann nicht mehr alle Brevets innerhalb des Zeitrahmens fahren. Er kümmert sich nun mehr um schriftliche Sachen und ist immer am Startort.
Noch immer geben wir die Startunterlagen persönlich aus.
ARA: Wie sehr Ihr die Entwicklung von ARA über die langen Jahre?
Heidi und Karl: In 25 Jahren hat sich die ganze Welt verändert. Auch ARA hat sich verändert, es gibt viele neue Startorte, Randonneure haben kürzere Anfahrtswege, können unter vielen Terminen die für sie am besten passenden auswählen, das Fahren mit der App sehen viele als Vorteil.
Dieses Fahren mit der App ist für mich jedoch kein Vorteil, denn gerade das Aufeinandertreffen an den Kontrollstellen, der persönliche Kontakt schon vor dem Start und auch im Ziel ist für mich ein wesentlicher Bestandteil der ursprünglichen Idee des eigenverantwortlichen und völkerverbindenden Unterwegsseins mit dem Rad.
ARA: Was möchtet Ihr jüngeren Randonneuren mitgeben, die jetzt gerade erst mit dem Brevetfahren anfangen?
Heidi und Karl: In den vergangenen zwei Jahren nach Corona haben bei uns sehr viele junge und ganz junge Menschen begonnen Brevets zu fahren, ambitioniert und begeistert. Das macht uns froh und hoffnungsvoll für die Zukunft des Langstreckenfahrens.
Ihnen allen möchten wir mit auf den Weg geben: nützt das Neue, probiert aber auch das Alte aus, vielleicht findet ihr darin den Reiz und die Zufriedenheit, die ich, die wir gefunden haben.
Vergesst nicht, daß Brevets KEINE Rennen sind, es gibt keine Wertung! Gesundheit, Sicherheit und Freundlichkeit stehen im Vordergrund, und auch der Spaßfaktor ist ein wichtiger. Brevetfahren ist toll, dabei mit Freunden fahren noch besser, neue Freunde finden auch gut.
ARA: Ganz herzlichen Dank für das Interview, Heidi und Karl. Wir können wirklich nur sehr sehr dankbar für das von Euch Geleistete sein! Gutes Gelingen für die neue Saison und für hoffentlich viele weitere!