Seit einiger Zeit ersetzt ebrevet auf Wunsch die klassische Pappkarte, auf der Stempel, Uhrzeiten und Unterschriften gesammelt wurden. Wie ist eigentlich ebrevet entstanden und wer programmiert diese App? ARA führte ein Interview mit Walter Jungwirth von ARA Breisgau.
ARA: Walter, in Randonneur-Deutschland kennen Dich viele, würdest Du Dich trotzdem kurz vorstellen?
Walter: Zum ersten Mal hat‘s mich 2003 erwischt. Damals wollte ich eigentlich nur PBP fahren und fand die Brevets als lästige Pflicht. Der deutsche Südwesten war zu der Zeit noch Diaspora, jedenfalls hatte ich erst nach meinem ersten PBP Kontakt zu deutschen Randonneuren. Dann zündete der Funke, diese familiäre und irgendwie sehr urige Szene und ihre lockere Art des Radfahrens faszinierte mich zunehmend. 2010 fiel dann die Entscheidung, selbst Hand anzulegen: damals noch zusammen mit Urban Hilpert schickten wir die ersten Randonneure von Freiburg aus in die Welt. Seither gab es viel Höhen und Tiefen. Aber besonders freue ich mich, wenn ich gelegentlich zu hören bekomme, dass jemand durch mein Buch „Tausend Kilometer Süden“ den Weg in die Randonneursszene gefunden hat.
ARA: Was hat dich ursprünglich motiviert, ebrevet zu entwickeln?
Walter: Ich hatte immer schon ein mulmiges Gefühl bei der Organisation von Kontrollen nach traditionellem Verständnis: 24-h-Tanke, irgendwelche Wirte bequatschen, Bäckereien zum Sturm freigeben. Das lief häufig gut, manchmal aber war‘s auch ein Schlag ins Wasser. Insofern kam Corona wie ein Weckruf. 30 Leute mit versiffter Brevetkarte gedrängt vor einer Supermarktkasse war einfach nicht mehr zu verantworten. Das war der Moment, wo ich mir gesagt habe, das muss auch anders gehen in Zeiten, wo jeder ein Smartphone in der Tasche trägt.
ARA: Wie hast du es geschafft, so viel Zeit und Energie in ebrevet zu investieren – trotz eines sicher vollen Alltags?
Walter: Also, erst mal konnte ich mir gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit das geben würde. Mitte 2020 hatte ich die Vorstellung, jeder macht sich eine Tracking-App aufs Telefon, irgendwo laufen die Daten zusammen und fertig. Das lief dann nicht ganz so, aber ich hatte mich festgebissen und für die Saison 2021 wollte ich ein System fertig haben, das praktikabel war. Glücklicherweise griff mir insbesondere Igor Clukas aus München mit seinem riesen Knowhow unter die Arme. Sonst wäre das vielleicht gar nichts geworden. Es gab unheimlich viel für mich zu lernen. Bis dahin hatte ich mich 15 Jahre lang sporadisch mit Webseiten beschäftigt, nur wenig mit wirklichem Programmieren. Um mein Ziel zu erreichen, saß ich an freien Tagen manchmal zwölf Stunden und länger am Rechner. Glücklicherweise mache ich in meiner beruflichen Arbeit in der Akutpsychiatrie manchmal Nachtdienste, und wenn‘s ruhig ist, kann ich schon mal ein paar Dutzend Zeilen vernünftigen Code in den Rechner hacken.
ARA: Wir können uns vorstellen, dass es ein riesiges Gefühl war, als ebrevet das erste Mal richtig gut lief. Welcher Moment hat dich besonders stolz gemacht?
Walter: Na ja, anfangs war mir vor allem bange vor jedem Brevet. Und es gab ja auch immer irgendwelche Probleme und ich war vor allem dankbar dafür, dass die Mädels und Jungs das so verständnisvoll hinnahmen. So richtig stolz war ich eigentlich erst in diesem Jahr, als im Breisgau von 120 Teilnehmern niemand nach einer Pappkarte fragte. Okay, sagte ich mir, so langsam vertrauen sie deinem System.
ARA: Was bedeutet es für dich, eine App zu entwickeln, die so vielen Randonneuren das Leben erleichtert?
Walter: Stress, aber auch eine echte Genugtuung. Es war ja Zeit, dass wir da was entwickeln, aber dass ausgerechnet ich als Amateurprogrammierer die Kiste auf den Weg bringen sollte… Das ist schon eine unerwartete Wendung des Schicksals!
ARA: Was war die größte Herausforderung auf diesem Weg?
Walter: Nicht die Nerven verlieren.
ARA: Wie hat sich aus Deiner Sicht das Brevetfahren durch ebrevet verändert?
Walter: Ich habe schon von Klagen gehört, dass die Kontrollen weniger zum Sammelpunkt werden als früher. Da mag was dran sein. Aber je länger die Brevets sind, um so sicherer gibt es Locations – unabhängig von den Kontrollstellen – wo man sich trifft und für die Dauer einer Pizza oder Schale Pommes gemeinsam stöhnt. Und lacht – zum Glück!
Ansonsten ist die Freiheit der Streckenplanung enorm gestiegen. Man muss wegen eines Stempels nicht mehr Autobahnraststätten anfahren, du kriegst deinen Nachweis jetzt überall, auch mitten in der Pampa. Ich muss keine Absprachen mit irgendwem treffen, die dann nicht klappen, weil wegen Regen nur die Hälfte startet und die auch noch drei Stunden zu spät kommt… Das kommt meinem Verständnis von Autonomie sehr nahe: ein GPS-Track und eine App für die Nachweise. Und jede Menge cooler Socken irgendwo vor oder hinter mir.
ARA: Hast du schon konkrete Visionen, wie ebrevet in den kommenden Jahren noch wachsen oder sich verändern könnte?
Walter: Die wichtigsten Dinge sind umgesetzt: eine App, die sowohl auf Android als auf auf iOS läuft und auch offline funktioniert. Die nicht nur rein zum Nachweis dient, sondern darüber hinaus zusätzliche Informationen bereitstellt, etwa die absolvierten Homologationen oder die Position von Mitfahrerinnen und Mitfahrern oder die genaue Lage der Kontrollen auf der Karte.
Mir persönlich gefällt auch die Intergration einer Tracking-App, der open-source App Traccar Client, die den Dotwatchern zuhause oder den Mitfahrern die aktuelle Position im Zehn-Minuten-Takt verrät. Ob man diese Daten als Nachweis akzeptiert oder nicht, können die Organisatoren der jeweiligen Brevets entscheiden.
Was mir noch vorschwebt: eine Galerie der über die Jahre aufgenommenen Kontrollfotos in der App. Dafür braucht es perspektivisch wohl noch ein bisschen mehr an Speicherplatz. Mal sehen, ob ich den von den Mitorganisatoren genehmigt kriege...
ARA: alle Brevetfahrerinnen und Brevetfahrer sind Dir zu großem Dank verpflichtet - toll, dass es ebrevet gibt!